Das Bild einer nach rechts driftenden Arbeiterklasse ist falsch. Entscheidender ist, dass die alltägliche Kritik der Arbeitenden nicht repräsentiert wird. Wohin sich dieses Gefühl politisch entwickelt, ist offen.
von Linda Beck und Linus Westheuser
Lisa kommt im Blaumann in den McDonald’s an der Ausfahrtstraße am Rande der Stadt. Draußen donnern Lastwagen auf die Autobahn, Lisa holt sich einen Kaffee und hockt sich müde in die Sitzecke. Sie kommt von der Frühschicht und war seit 3 Uhr morgens in der Autofabrik, in der sie als Leiharbeiterin beschäftigt ist. Sie will eigentlich nur heim, nimmt sich aber dennoch Zeit für ein Interview. Lisa ist einer der Menschen, mit denen wir für eine Studie sprechen, in der es um das politische Bewusstsein einer Klasse geht, die im öffentlichen Diskurs fast schon vergessen ist: der »alten Arbeiterklasse« von manuellen Arbeiterinnen und Arbeitern in Industrie, Handwerk und Bau.
»Gibt es Arbeiter überhaupt noch?«, fragen uns Uniabsolventen, während von fern ein Presslufthammer dröhnt. »Ah, das neue AfD-Milieu«, sagen
andere. Uns reichen diese Klischees nicht. Nachdem seit Jahren fast nur
noch dann über die Arbeiterklasse gesprochen wird, wenn Rechtsradikale
Wahlerfolge feiern, wollen wir uns ein genaueres Bild des
Arbeiterbewusstseins jenseits der Schlagzeilen verschaffen. Wir treffen
Arbeiterinnen und Arbeiter zu Hause oder in der Mittagspause, auf der
Baustelle oder im Café. »Wie würdest Du Dich selbst beschreiben?« Mit dieser Frage beginnen viele der langen Gespräche. »Ich hab kein Problem damit, einen Hammer oder eine Axt anzuheben«, ist Lisas Antwort. »Ich muss mich auch nicht total aufbrezeln, wenn ich in die Fabrik gehe. Es ist kein Laufsteg, ich geh da zum Arbeiten hin. Insofern bin ich vielleicht eine ungewöhnliche Frau.« Unsere Gespräche drehen sich um Selbstverständnisse und Beschwerden, Belastungen und Identitätsstiftung durch Arbeit, fast immer auch um die Politik, die die meisten mit einem Abwinken auf Distanz halten. In unseren Gesprächen kommt eine Arbeiterklasse zu Wort, die vielseitiger, klüger und widersprüchlicher ist, als die Karikaturen im Nachmittagsfernsehen und in Brennpunkten zu Wahlen es nahelegen…
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