AfD, BSW, SPD: Wer vertritt die Wut der Arbeiterinnen und Arbeiter?

Beitrag in der SPW – Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft, mit Linda Beck:

Die deutschen Ergebnisse der Europawahlen stehen für eine soziale Krise des Parteiensystems. Weder die drei Regierungs- noch die alten Volksparteien CDU und SPD konnten gemeinsam eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen. Deutlich stärker waren alle von ihnen aber unter besser situierten und politisch integrierten Gruppen, während in den gesellschaftlich schlechter gestellten Gruppen die AfD durchbrach – trotz insgesamt eher schlechtem Ergebnis. Besonders drastisch zeigt sich dies laut einer Umfrage im Auftrag der ARD bei Arbeiterinnen und Arbeitern. Unter ihnen lag der Stimmenanteil der AfD mit 33 Prozent etwa gleichauf mit dem der beiden alten Volksparteien zusammen.War das politische Verhalten der Arbeiterklasse bisher vor allem von einer Abkehr von der Politik geprägt, so tritt seit einigen Jahren auch eine aktive Ablehnung der etablierten Parteien hinzu. Diese stärkt derzeit vor allem die AfD, doch auch der Achtungserfolg für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kann zumindest auch als Symptom einer politischen Hegemoniekrise der etablierten Parteien in den einfachen Arbeitnehmermilieus verstanden werden.

Was geschieht hier unter der Oberfläche der Statistiken und Wahlbefragungen? Was verschiebt sich im politischen Alltagsbewusstsein von Arbeiterinnen und Arbeitern? Um zu einer Klärung dieser Frage beizutragen, kehren wir im Folgenden zu den Ergebnissen einer Studie zurück, die wir vor zwei Jahren im Berliner Journal für Soziologie veröffentlicht haben. Die Studie widmete sich der Kritik an gesellschaftlichem Status Quo und politischem Establishment, die Arbeiterinnen und Arbeiter in Industrie, Handwerk, Bau und Logistik äußern. Wir werteten lange Gespräche mit 30 Arbeiterinnen und Arbeitern aus, die wir zu Hause nach Feierabend oder in der Mittagspause, auf der Baustelle oder im Café trafen. In den Gesprächen ging es um Ungerechtigkeitsgefühle, Wut und Kritik, Selbstverständnisse und Beschwerden, Belastungen und Identitätsstiftung durch Arbeit. Immer ging es auch um die Politik, die die meisten zunächst mit einem Abwinken quittieren, um dann doch
schnell ins Reden zu kommen. In unseren Gesprächen kam eine Arbeiterklasse zu Wort, die vielseitiger, klüger und widersprüchlicher ist, als die Karikaturen im Nachmittagsfernsehen und in Brennpunkten zu Wahlen es nahelegen. Sie zu verstehen kann auch in der gegenwärtigen Situation Orientierung geben.