RND: Während SPD, Grüne und Linke bei Arbeitern immer mehr Wähler verlieren, legt die AfD in dieser Gruppe zu. Dabei würden von einigen Vorhaben der Partei eher Besserverdiener profitieren. Der Soziologe Linus Westheuser hat das in einer Studie untersucht und spricht im RND-Interview darüber, wie Mitte-links-Parteien diese Stimmen zurückgewinnen könnten.
Herr Westheuser, Ihre neue Studie trägt den Titel „Klasse als politischer Kompass? Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung“. Ist der Begriff „Klassenbewusstsein“ noch zeitgemäß?
Ich denke ja. Es wird zwar heute weniger über Klassen gesprochen. Wenn man Leute aber nach ihrer Klassenzugehörigkeit fragt, sieht man, dass bestimmte Formen des Klassenbewusstseins immer noch weit verbreitet und sozial klar lokalisiert sind. Unter Menschen, die in Arbeiterberufen der Produktion und Dienstleistung arbeiten, identifizieren sich große Mehrheiten von 70 bis 80 Prozent als Teil der Arbeiterklasse. Unter den freien Berufen, etwa Anwälten mit eigener Kanzlei, ist es nur eine Minderheit. Die Leute wissen also durchaus noch etwas mit Begriffen wie „Arbeiterklasse“ anzufangen.
Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung?
Wir haben herausgefunden, dass Menschen, die sich als Teil der Arbeiterklasse identifizieren und sich gesellschaftlich eher unten verorten, mit höherer Wahrscheinlichkeit die AfD wählen. Wenn jemand über Klasseninteresse verfügt, sich also in Konflikten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf der Seite der Beschäftigten positioniert, ist es hingegen wahrscheinlicher, dass diese Person Mitte-links-Parteien wie die SPD wählt.
Dabei vertritt die AfD in arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Belangen eher Ansätze, von denen Besserverdiener profitieren würden. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?