Interview: Die „Fleißigen“ und die „Faulen“

Robert Misik, Arbeit & Wirtschaft

„Rechtsradikale Parteien schaffen keine realen Verbesserungen für Arbeitnehmer:innen, bieten ihnen aber die symbolische Aufwertung des Nach-Unten-Tretens“: Der Soziologe Linus Westheuser über gefährliche Schlagseiten des Arbeitsbegriffs und Sozialstaatsdebatten.

Ohne Fleiß, kein Preis? Ein Mantra, das tief in unserer Leistungsgesellschaft verankert ist. Doch genau das kritisiert der Soziologe Linus Westheuser. Im Interview erklärt er, wie arme Menschen unter Generalverdacht gestellt werden und warum Bitcoin-Trading in Großbritannien als Leistung durchgeht.

A & W: Sie kommen gerade aus dem Urlaub zurück. Hatten Sie ein schlechtes Gewissen, nicht fleißig genug gewesen zu sein?

Westheuser: Ach Gott nein, das wäre ja eine traurige Haltung zum Leben (lacht). Außerdem ist der Urlaub ja ein wohlverdienter Teil des Arbeitens. Selbst für jemanden wie mich, der keine Balken schleppt, sondern den Großteil des Tages in den Computer schaut.

Dass man „fleißig“ sein und Leistung erbringen muss, das ist ein beherrschender Geist in unserer Gesellschaft, prägt unser Selbstverständnis und setzt sich sogar in unserem Über-Ich fest.

Westheuser: Ja, es ist durchaus beängstigend, wie tief der Gedanke eingesickert ist, wir müssten uns unsere Wertigkeit als Mensch durch Leistung verdienen. Das ist Teil dessen, was Max Weber das moderne „Berufsmenschentum“ nennt. Leistung wird dabei oft auf Erfolg oder passive Pflichterfüllung reduziert oder so gewendet, dass man auf die herabblickt, die vermeintlich weniger leisten als man selbst. Zudem wird als Leistung oft nur Lohnarbeit verstanden, nicht aber unbezahlte Sorgearbeit, die Pflege von Beziehungen, politische Arbeit oder lokales Engagement. Das ist eine Verengung gesellschaftlicher Anerkennungsquellen.Es ist ja auch durchaus umstritten, was Begriffe wie „Fleiß“ und „Leistung“ überhaupt bedeuten.Ja. In unserer Studie argumentierte etwa eine Befragte, dass eine Frau, die arbeitet und zudem alleine Kinder großzieht, mehr leistet als ihr Kollege, der die gleiche Arbeit macht, aber abends zu Hause entspannen kann.

Leistungsvorstellungen, so zeigen Studien, unterscheiden sich auch zwischen verschiedenen Ländern. In Deutschland und vielleicht auch in Österreich wird Leistung vor allem mit „ackern“, mit harter körperlicher Arbeit verbunden. In Skandinavien wird vor allem das als Leistung geschätzt, was zum Gemeinwohl beiträgt. Die Briten dagegen leben eher in einer Erfolgs- als in einer Leistungsgesellschaft. Als Leistung gilt dort letztlich, was immer am Markt Ertrag bringt. Auch Bitcoin-Trading würde dort vielleicht als Leistung durchgehen, solange man damit Geld macht.

All das hat auch politische Implikationen. Heute werden politische Konflikte oft auch als Auseinandersetzungen zwischen „Fleißigen“ und „Faulen“ beschrieben. „Fleiß“ und „Leistung“ sind dann keine unschuldigen Begriffe mehr.

Absolut. Die Vorstellung, wir lebten in einer leistungsgerechten Gesellschaft, ist eine der wichtigsten Legitimationsstützen sozialer Ungleichheit. Man sieht das, wenn Arme verdächtigt werden, nur arm zu sein, weil es ihnen an Motivation mangelt. Obwohl sie es oft sind, die sich am meisten abstrampeln. Reiche dagegen können sich als Leistungsträger präsentieren, obwohl wir aus unzähligen Studien wissen, dass Reichtum heute in erster Linie vererbt wird, sei es in Form von Eigentumstiteln, Bildungsinvestitionen oder Papas Adressbuch.Wir sehen in unseren Daten, dass die aufklappende Schere zwischen Arm und Reich durchaus von vielen kritisiert wird. Politisch sind die klassischen Oben-Unten-Konflikte heute aber stark demobilisiert. Institutionen wie Gewerkschaften oder linke Parteien verkörpern nicht mehr so stark wie einst die Hoffnung auf eine Veränderung ungerechter Verhältnisse.

Und in dieses Vakuum stoßen heute Parteien am rechten Rand?

Rechtsradikale Parteien wie die FPÖ oder die AfD schaffen keine realen Verbesserungen für Arbeitnehmer, bieten ihnen aber die symbolische Aufwertung des Nach-Unten-Tretens. Sie spalten die Arbeitenden in einen wohlintegrierten Kern und Außenseitergruppen wie Migrant:innen oder Transferempfänger:innen. Für den Kern fordern sie Schutz, für die anderen Sanktionen, Drangsal und Ausschluss.

De facto schaden sie damit den Arbeitenden, weil die Spaltung zwischen Beschäftigten und Erwerbslosen, Einheimischen und Migrant:innen die gemeinsame Handlungsfähigkeit der Arbeitenden schwächt. Es ist auch