Rezension: Triggerpunkte – Ein großer Wurf

FAZ: Wo sich entscheidende Bruchstellen der kollektiven Solidarität zeigen: Drei Berliner Soziologen legen eine fundierte Analyse von Konflikten vor, an denen sich die Gemüter in Deutschland erhitzen. Sie ist ein großer Wurf.

An soziologischen Diagnosen, die eine tiefe Spaltung und Polarisierung der deutschen Gesellschaft in zwei unversöhnliche Lager beschwören, herrscht kein Mangel. Aber auch die gegenteilige Argumentation, dass es für dieses Narrativ des einen großen Konflikts zwar eine große öffentliche Nachfrage gibt, die empirischen Befunde der Sozialforschung es aber nicht stützen, sind zahlreich und vielfach publiziert worden. Die Gesellschaft ist demnach nicht gespalten, sondern eher zerklüftet – eine Landschaft vieler Konflikte, die sich an ganz unterschiedlichen Fragen entzünden. Aber ein soziologischer Atlas der deutschen Konflikte wäre noch keine Gesellschaftstheorie.

Diese müsste die Konflikte aus einer verbindenden Erfahrung erklären, mit deren Hilfe man die Konfliktlandschaft erstens in ein erklärendes Schema verwandeln könnte. Und zweitens begründen könnte, warum manche Konflikte kaum wahrgenommen werden, während andere die volle öffentliche Aufmerksamkeit erfahren. Eine politische Konfliktsoziologie sozialer Ungleichheiten also, ergänzt durch ein sozialpsychologisches Interesse an Wahrnehmungsdifferenzen. Ungleichheiten, die ganz ungleich polarisieren: Eine Studie, die mit dieser Formel die deutsche Gesellschaft genauer und (politisch) brauchbarer darstellen könnte als die vorhandenen Gesellschaftstheorien, wäre ein großer Wurf. Steffen Mau, Thomas Lux und Linus Westheuser ist das gelungen.

Die drei Berliner Soziologen stellen gleich zu Beginn ihres Buches klar, dass sie von der These einer Spaltung der deutschen Gesellschaft im Sinne der Cleavage- oder Klassen-Theorie nichts halten. Man müsste dazu von einer zunehmenden Identität der sozialen und der politischen Landkarte ausgehen, etwa in ein kosmopolitisches Oben und ein rechtskonservatives oder kommunitaristisches Unten. Die Empirie stütze diese These einer gleichzeitigen kulturellen, materiellen und politischen Polarisierung der Gesellschaft ganz eindeutig nicht. Sie tauge als „argumentativer Reibebaum“, aber im Kern des ­Buches stehe ein tieferes Verständnis der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und ihrer sozialstrukturellen „Lagerung“: Wer streitet mit wem worüber und warum in welchen Konfliktarenen?