Gespräch: Die feinen Unterschiede in den Couchecken

soziopolis: Steffen Siegel und Linus Westheuser im Gespräch mit Jens Bisky über das Fotoprojekt „Klassismus sichtbar machen“ von Magdalena Bausch

Noch bis zum 8. Januar 2024 wird in der Universitätsbibliothek Freiburg die Ausstellung „Klassismus sichtbar machen“ von Magdalena Bausch zu sehen sein. Die Masterstudentin wirbt dafür mit einem Zitat der Kulturanthropologin Francis Seeck: „Wir leben in einer Gesellschaft, die so tut, als gäbe es keine Klassen mehr, als käme es allein auf die Leistung an – dabei zählt unsere Klassenherkunft seit unserem ersten Atemzug.“

Damit sind wenigstens zwei große Themen aufgerufen: soziale Ungleichheit und die Frage, wie über Gesellschaft zu erzählen sei. Soziologie wird überwiegend als textbasierte Wissenschaft betrieben, das allgemeine Publikum erwartet Statistiken von ihr, kaum Fotografien – und wenn doch, dann dienen die Bilder dem ersten Verständnis zufolge der Veranschaulichung, weniger der Erkenntnis. Diese Überzeugung hält sich zäh, obwohl visuelle Soziologie seit Jahrzehnten erfolgreich betrieben, also Bildmaterial für die soziologische Forschung genutzt und nach Praktiken visueller Interaktion und bildlicher Repräsentation des Sozialen gefragt wird. Man denke nur an Pierre Bourdieu, der selbst fotografiert und über den Gebrauch von Fotografien geschrieben hat, oder an Howard S. Beckers Exploring Society Photographically aus dem Jahr 1981.[1]

Kern der Freiburger Ausstellung ist Magdalena Bauschs „soziologische Fotoreihe der feinen Unterschiede“. Sie will damit „zum Betrachten fremder Leben, zur Reflexion eigener Vorurteile und zum Gespräch über Klassen“ einladen. Im September wurde die Fotoreihe schon einmal in Berlin gezeigt, im CARIsatt-Laden und Nachbarschaftstreff Neukölln. Der Laden liegt mitten in einer denkmalgeschützten Reihenhaussiedlung, die Anfang der 1920er-Jahre errichtet wurde, um der Wohnungsnot abzuhelfen, die den Berliner Alltag damals erschwerte, so wie sie ihn heute für viele vergiftet.

Im Neuköllner Nachbarschaftstreff habe ich mich mit dem Fotohistoriker Steffen Siegel und dem Soziologen Linus Westheuser verabredet, um mit ihnen über die Fotoreihe, über Ungleichheiten und deren Sichtbarkeit zu sprechen. Siegel lehrt Theorie und Geschichte der Fotografie an der Folkwang Universität der Künste in Essen, Linus Westheuser forscht an der Humboldt-Universität zur politischen Soziologie sozialer Ungleichheit. Man spürt sofort, dass der Ort nicht oder doch nicht in erster Linie für Ausstellungen gedacht ist. Die Fotografien versperren teilweise den Zugang zu den Regalen. Dass drei Akademiker ihre Einkäufe und Alltagsroutinen beobachten und auch noch darüber reden, scheint einige im Laden zu irritieren.